23. August 2021

Gefrorene Sommerfreuden

Gefrorenes (c) STADTBEKANNT Wetter-Nohl

Ein Spaziergang durch die Erfolggeschichte des Eises in Wien

Noch liegen einige Wochen vor uns, in denen wir quer durch Wien in insgesamt 159 Eissalons alte und neue Eissorten genieꞵen können, ganz egal, ob uns das Wetter warme oder kalte Tage beschert. Statistisch gesehen ist der pro Kopf Verbrauch von Eis in kalten Ländern sogar am höchsten. Mit dieser hohen Dichte an Eissalons steht Wien in Europa ganz oben, was nichts Neues ist, sondern Geschichte hat.
Lassen wir also den August mit Nocciolone oder Limette-Koriander in der Innenstadt oder jenseits des Gürtels ausklingen und gehen eisschleckend durch den September in Wien oder verweilen wir im Eisschanigarten bei einem Coup und plauschen mit dem Personal.
Manche der vielfach von italienischen Familien betriebenen Eisgeschäfte haben sogar noch bis in den frühen Oktober hinein ihre Türen geöffnet, bevor sie hinter geschlossenen Rollläden noch allerhand wegzuräumen haben, um kurz danach Wien Richtung Norditalien zu verlassen.

Alle Jahre wieder – das Kommen und Gehen der süꞵen Köstlichkeit

Dieser Vorgang des für die Eissaison meist schon im März nach Wien Fahrens und im Herbst wieder in die Heimat Zurückkehrens wiederholt sich alljährlich schon seit ca. 150 Jahren auf ähnliche Weise. Der sehr berührende Dokumentarfilm „Der Winter der Eismacher“ von Ines Pedoth und Wolfgang Peschl handelt von den süꞵen und bitteren Seiten des Eismacherlebens. In diesem Film aus 2012 begegnen wir auch zwei Eismacherfamilien, die seit mehreren Generationen zum Eisverkauf nach Wien kommen, Die Molin-Pradels am Schwedenplatz und die Arnoldos mittlerweile schon lange in Hernals, die beide aus dem Zoldotal in den Dolomiten in der Provinz Belluno kommen, wo seit vielen Jahrzehnten ganze Dörfer im Winter wie ausgestorben sind, weil der Groꞵteil ihrer Bewohner*innen Richtung Wien gezogen ist. Neben diesen beiden italienischen Eismacherfamilien werden wir auf unserem Spaziergang noch andere mehr oder weniger traditonsreiche und nicht immer italienischstämmige Eisspezialisten besuchen aber auch dem veganen Eis auf die Spur kommen und ein wenig in die Bioeis-Szene hineinschauen, was dort so an „Gefrorenem“ geschleckt wird.

Ferrari Gelato Eis (c) STADTBEKANNTFerrari Gelato Eis (c) STADTBEKANNT
(c) STADTBEKANNT

Wie das „Gefrorene“ aus dem heiꞵen Süden ins (damals noch) kühlere Wien kam

Aus dem heiꞵesten Teil von Italien, aus Sizilien soll die Eismacherkunst, wie wir sie heute kennen, nach Norditalien gekommen sein. Dort war das Eis bald so beliebt, dass auch der Opernkomponist Verdi sich einen eigenen Eiskeller zulegte und mit einigem Murren wurden die von Anfang an hohen Preise der kaltsüssen Köstlichkeit hingenommen. Von einem sizilianischen Meister haben es norditalienische Männer gelernt, die eigentlich als Holzfäller tätig waren. Viele von ihnen hatten in den engen Tälern keine Arbeit gefunden und arbeiteten in einem Werk in Transsilvanien. So auch ein Vorfahre der heutigen Eismacherfamilie Molin-Pradel am Schwedenplatz. Als dieses pleite ging, reichte sein Geld nur noch bis Wien, wo er zunächst als Salamiverkäufer im Prater arbeitete. Bald schon fest entschlossen, sein Glück mit dem Speiseeisgeschäft in Wien zu versuchen, stieg er mit Verstärkung aus seinem Tal ins Geschäft ein und nach einem kurzen Intermezzo mit dem Eiswagen eröffnete er sein erstes Eisgeschäft in der Brigittenau.
Viele taten es ihm gleich, denn damals galt Wien als eine der modernsten Metropolen der Welt.
Das war lange vor der Erfindung der Kühlmaschinen. Alles musste händisch gemacht werden, aber wie immer konnte man auf die Technik der Römer zurückgreifen, die es schon verstanden hatten, Eis mittels Salz kühl zu halten. Und so wurde das erste Gefrorene in Steinfässern in kleinen Eiswägen, namens Caretti in den Straꞵen Wiens verkauft, erstmals im Prater um 1865. Sehr zum Leidwesen der Zuckerbäcker wie dem Demel, der ursprünglich als Eisdiele begann und die bald erwirkten, dass der Eisverkauf von einem fixen Standort aus erfolgen musste. Das war die Geburt des Eissalons.
Die Molin-Pradels, die als die älteste Eismacherfamilie in Wien gilt, führen seit 1932 ihren Eissalon bald schon in der 6. Generation am Schwedenplatz, einem Platz, der an die Hilfsleistungen der Schweden nach dem 1. Weltkrieg erinnert, als aus den italienischen Freunden Feinde wurden und der nicht gerade viel mediterranes Flair versprüht, unweit der Ruprechtskirche, wo der Salzheilige Ruprecht versteckt in einer Ecke steht. Der Salzhandel, an den in dieser Gegend viele Straꞵennamen erinnern hat Wiens Geschichte bis zu den ersten Eismachern positiv geprägt.

Heiling (c) STADTBEKANNT Nohl
(c) STADTBEKANNT Nohl

Gefrorenes – Eis wie damals

Eis wie damals zu Preisen von heute, sind wir versucht zu denken, wenn wir an dem kleinen gleichnamigen Eisladen an der Währinger Straße vorbeigehen, eine der Vorzeige-Einkaufsstraꞵen in Wien, die dem Bezirk eine breite Versorgung mit allem Lebensnotwendigen und Überflüssigen gewährt.
Aber nein: Eis war damals noch viel exklusiver, sogar lange Zeit nur dem Adel vorbehalten. Erst, als an der Wende zum 19. Jahrhundert die Rübenzuckererzeugung erfunden wurde, wurde Zucker für die breite Bevölkerungsschicht leistbar. Schon davor schlürfte man aber an einem Sommerabend in Wien allzu gern Gefrorenes, das dem heutigen Sorbet ähnelt, aus Früchten aller Art gemacht, auch aus Veilchen, sehr zur Freude der nach Veilchen verrückten Kaiserin Sisi.
In dem kleinen Geschäft an der Währinger Straꞵe, wo man sich rühmt, das „frischeste Eis“ zu machen, schlieꞵt man wieder an diese Tradition an und das äuꞵerst sortenreich. In dem kleinen Geschäft mit 8 Schanigartenplätzen gibt es gleich 36 Sorten zu probieren, Wobei ein starker Wienbezug gegeben ist, so findet man hier Sachertorte und Apfelstrudel als Eis vor.
Aber auch angesichts des heutigen Sortenreichtums ist Kopfschütteln nicht angebracht, dieser herrschte nämlich in Wien ebenfalls von Anfang an. Weit Seltsameres als heute befand sich auf der Zutatenliste so wie Pomeranzen oder auch Schwarzbrot! Es scheint, dass damals einfach alles zu Eis gemacht wurde!

Gefrorenes Stanitzel (c) STADTBEKANNT Wetter-Nohl
Gefrorenes Stanitzel (c) STADTBEKANNT Wetter-Nohl

Beim Tichy am Reumannplatz geht´s rund

Wegen der Nichteinhaltung der Abstandsregeln kam das Traditionsunternehmen Tichy im letzten Jahr ins Gerede. Kein Wunder: Vor keinem anderen Geschäft in Wien gibt es wohl so lange Warteschlangen wie vor dem oft als „berühmtesten Eissalon“ Wiens bezeichneten Tichy.
Seit 1955 verschönert er den Reumannplatz. Welch Vergnügen, sich nach einem Besuch des 1926 erbauten Amalienbades (inklusive Sauna mit Göttinnentempelartiger Kuppel über dem Warmwasserbecken!) bei einer der rotweiꞵrot gekleideten Damen gleich gegenüber eine Erfrischung zu gönnen. Angefangen haben die Tichys ihre Eisverkaufslaufbahn in einem Keller in Simmering, wo sie vor allem Schrebergärten mit Eiswaren versorgten.
Untrennbar mit ihnen verbunden sind seit langem ihre patentierten Eismarillenknödel, die niemand anderer unter diesem Namen verkaufen darf.
Der Reumannplatz, Symbolplatz des Roten Wien, benannt nach dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Wiens, Jakob Reumann, hat seit kurzem übrigens durch Verkehrsberuhigung, mehr Grünraum und Spielflächen eine soziale Aufwertung erhalten. Nichts wie hin, sich vor dem Tichy anstellen und mit einem Stanitzl, das in den Anfangszeiten des Eisverkaufs noch aus Papier war, auf einer der vielen neuen Sitzmöglichkeiten Platz nehmen.

Frauen im Eisgeschäft zwischen Landstraꞵe und Hernals

Frauen waren immer schon die Seele und das Rückgrat im Eisgeschäft heiꞵt es in „Der Winter der Eismacher“ aber sehr lange Zeit waren nur Männer Eismacher. Das hat sich geändert. Im „Eiskarussel“ am Rennweg rührt eine Frau seit 2018 das Eis. Sie heiꞵt Stefanie und arbeitet mit ihrem Mann nur mit den besten regionalen und Fairtrade Produkten.
Eine Portion Italien ist auch oft dabei, z.b. bei den Nüssen, die aus dem Piemont kommen oder den Pistazien, die aus Sizilien stammen.
In einem anderen Bezirk war über viele Jahre eine funkenstrahlende Frau die Seele des Eissalons: Michela Arnoldo, eines von drei Kindern der Familie Arnoldo, deren Eismacherkarriere zu den frühsten in Wien gehört und die einst am Schwedenplatz begann. Mittlerweile ist das Familienunternehmen schon seit sehr vielen Jahren an der Hernalser Hauptstraꞵe zum süꞵen Treffpunkt von Hernals geworden. Das Zoldotal hat es der charmanten Eisverkäuferin gerade wieder angetan, aber wer weiꞵ, ob sie sich wirklich ihrer zweiten Heimat Hernals ganz entziehen kann? Die Hernalser Hauptstraꞵe erholt sich jedenfalls langsam von den Jahrzehnten des Geschäftesterbens und so lohnt es sich allemal, am Rückweg von Neuwaldegg aus der 43iger auszusteigen und in die Eiswelt von Fausto Arnoldo und seinem italienischen Team einzutauchen – vielleicht mit einem der unglaublich guten eisgefüllten Crêpes.

Eis mit Bio-Ei oder ganz ohne Ei zwischen Schönbrunn und Schottentor

Das Rezept von Speiseeis lautete über lange Zeit ganz einfach: Milch, Ei, Zucker und Früchte. Im Idealfall enthielt es keine künstlichen Aromastoffe. Dass dem auch anders sein kann, sehen wir an dem Hervorsprieꞵen von immer mehr Bioeissalons und Veganista-Filialen in den unterschiedlichsten Bezirken. Zweitere erfreuen sich auch bei Nichtveganer*innen groꞵer Beliebtheit. Mit einer Riesenkugel „Tausend und eine Nacht“ sitzt man auf der Holzbank an der nicht verkehrsarmen Neustiftgasse oder an der verkehrberuhigten Neubaugasse und schleckt veganen Orient. Gleich um die Ecke soll ja während der Osmanenbelagerung vom Turm der St. Ulrichskirche auf Wien geschossen worden sein und so freuen wir uns über die alle versöhnende Gastronomie doppelt.
Eine andere Nachbarschaft von Exotischem und Heimschem befindet sich im Schlosspark Schönbrunn, wo neben dem Nashorngehege der Eissalon Rhino-Bar Produkte der in der Buckligen Welt heimischen Eisgreisslerei verkauft. Auch in der Schottengasse kommen wir nicht ins oder aus dem historischen Wien, ohne am Fuꞵe der Mölkerstiege eine oder mehrere Kugeln beim Eisgreissler in Erwägung zu ziehen. Am besten lässt man sich dann im wunderbar schattigen und herrlich stillen Schulhof des Schottengymnasiums vor dem riesigen Feigenbaum nieder, vielleicht mit einer Kugel Zotterschokolade. An der Ecke zur Freyung findet man dann auch die dazu passenden Zotter-Schokoladen in einem kleinen paradiesischen Süꞵwarengeschäft.

So denn, genug Gusto gemacht: auf in den Eissommer-Endspurt quer durch Wien, vielleicht starten wir bei einem Ostarrichi-Coup ganz in Rot-Weiꞵ-Rot am Schwedenplatz und besuchen am Ende die neue Manufaktur der Molin-Pradels in der Seestadt!

 

Elke Papp

Die Stadtverführerin spaziert mit Euch quer durch Wien, immer geschichtliche und literarische Köstlichkeiten dabei habend. Sie zeigt euch die stillen Oasen in der Stadt, geleitet euch durch schattige Höfe und bringt Verborgenes ans Licht. Gemeinsam mit den Austria Guides For Future zeigt sie Euch auch die klimaschutzrelevanten Projekte in Wien. Interessiert? Dann schreibt ihr: mail@stadtverführerin.at

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